Die Referenz auf das, was außerhalb des Bildes Bestand hat, bleibt also immer bestehen?
Unbedingt, dieses Relikt, das Zettelchen ist der eigentliche Grund, weshalb ich ein Bild anfange, es ist die Motivation. Mich interessiert Material eigentlich nicht. Es geht um den Stempel und die Unterschrift, es geht um das Ereignis, was dieses Zettelchen bezeugt.
Lass uns bei dieser Ausgangssituation bleiben. Der Ausgangspunkt ist also beschriftetes, bebildertes Papier, ganz profane Dinge des täglichen Gebrauchs, die zu einem bestimmten Zeitpunkt für eine bestimmte Person eine Bedeutung oder Funktion hatten. Diese Funktion aber haben sie nun verloren, genauer, diese wurde dem Vergessen, sie selber der physischen Vernichtung überantwortet.
Ja, es sind meistens Dinge, die für einen bestimmten Moment sehr wichtig waren, Einreisedokumente oder Fahrkarten.
Ja, es gibt also dieses Momenthafte, Transistorische und diese eine Funktion, die für eine bestimmte Person, in einer bestimmten Situation entscheidend war. Anschließend geht die Funktion verloren …
…und die Erinnerung bleibt.
Richtig, und dieses Verschwinden und dieses Vergessen gehen in das Bild ein. Es ist also auch ein Prozess, ein Malen gegen dieses Vergessen.
Ja, ich fand es immer schrecklich, dass ich nur «rückwärtig» malen kann. Weil die Zettelchen, die ich benutze, immer schon zur Vergangenheit geworden sind. Es gibt diesen Zeitsprung.
Deine Formulierung erinnert mich an einen kleinen Text von Walter Benjamin zu einem Bild von Ernst Klee, «Angelus Novus». Er deutet das Bild als das eines rückwärts fliegenden Engels, des Engels der Geschichte, der, nach vorne, in die Zukunft fliegend, die Fragmente der Wirklichkeit immer nur als bereits vergangene, erinnerte wahrnehmen kann.
In erster Linie ist das eine einfache Beobachtung, dass ich mich nur auf Dinge beziehen kann, die schon geschehen sind. Ich kreiere zwar aktuell ein Bild, aber das Zettelchen ist die Geschichte in der Vergangenheit, in dem eine Geschichte Material geworden ist.
Mir ist aufgefallen, dass in Deinen Bildern, immer eine Funktion und eine Person dokumentiert sind. Du hast also Motive ausgewählt, auf denen ein Bezug auf eine konkrete Person und auf eine konkrete Situation zentral sind. Du hast somit auf dem Zettel eine persönliche Handschrift, die auf eine bestimmte Person weist und für das Subjektive, Momentane steht. Und du hast auf der anderen Seite gedruckte Schrift und Symbole, die für Institution, etwas abstraktes und übergeordnetes steht. Gibt es für dich hierbei einen Unterschied auf der semantischen Ebene oder grafischen Ebene?
Auf der grafischen Ebene gibt es keinen Unterschied, ich behandle alle Zeichen ähnlich. Ob ich mich für Tempera oder Öl oder Faserschreiber entscheide, liegt in der Bildwirkung, nicht an der formalen Trennung von Unterschrift und Stempel. Auf der semantischen Ebene allerdings, geht es selbstverständlich um die Unterschiede, die du angeführt hast. Es geht natürlich um den Hinweis, dass es einen Unterschied zwischen Subjekt und Institution oder gesellschaftlicher Situation gibt. Wobei das viele unterschiedliche Ebenen in sich hat. Das ist ja philosophisch eine sehr schwierige Frage, das Verhältnis von Subjekt und Gesellschaftlichkeit, die kann ich hier gar nicht auflösen.
Was auffällig fehlt sind solche «Kritzeleien», kleine, automatische, absichtslose Fingerübungen, kleine l’art-pour-l’arts, wie sie z.B. beim Telefonieren entstehen. Immer sind deine Vorlagen «Informationsträger», sie haben ursprünglich immer eine kommunikative Funktion. Ist diese Beobachtung richtig und ist sie gewollt?
Zweimal ja. Warum sollte ich hübsche, kleine Kritzeleien auf vier Quadratmeter aufblasen, das macht gar keinen Sinn, sie sind ja bereits art-pour-l’arts.
Genau, du reproduzierst diese Zettelchen ja mechanisch, d.h. Du nimmst dich hierbei sehr stark zurück. Diesen zunächst einmal ganz mechanischen Prozess der Reproduktion unterläufst du aber, indem du nun die Vorlage fragmentierst, also entscheidest, auswählst. Welche Kriterien sind hierbei für dich ausschlaggebend?
Das ist schwer zu erklären. Ich gehe in den Copyshop und mache eine Overheadfolie vom Zettelchen und die projeziere ich an die Wand. Dies ist der Moment, in dem ich alle formalen Entscheidungen fälle, welchen Teil nehme ich, wie groß wird das Bild. Das hat was mit Sehen und wohl auch etwas mit Erfahrung zu tun, manchmal habe ich Folien verworfen oder Leinwände wieder abgespannt.
Der Prozess der Bildfindung ist sehr komplex und gliedert sich in verschiedene Abschnitte. Würdest Du diese unterschiedlichen Abschnitte kurz beschreiben und bewerten.
Zunächst projeziere ich und übertrage den Inhalt auf die Leinwand. Danach lege ich eine Schicht böhmischer grüner Erde auf, um die weiße Tempera mit der dunkelgrauen Leinwand zusammenzuführen. Ich habe dann eigentlich ein Problem, weil ich einen grauen Untergrund habe, den ich aber in weiß brauche, sofern die Vorlage weiß ist.
Wenn man noch mal zur Unterscheidung von «konkret» und «abstrakt» geht, wäre das also eine Verschiebung vom abstrakten Bild zum konkreten. Verstehe ich das richtig?
Genau. Ich gehe also von der «abstrakten» Arbeit, der Projektion über zur «konkreten» Malerei, also zum Untergrund des Stempels, oder was auch immer. Ich arbeite sozusagen das heraus, was unter dem Stempel liegt und das ist eben «konkret». Um am Ende wieder zum Stempel, dem «Abstrakten» zurückzukehren.
Der Bezug auf den Bildinhalt geht dann also nie ganz verloren?
Nein, der Teil ist wichtig, er ist Bildinhalt.
Aber die Abfolge ist bei jedem Bild die Gleiche. Also zunächst die graue Grundfläche, weiß übertragen die Zeichen und dann die grüne Erde. Also eine bewusste Bezugnahme auf klassische Imprimiturtechnik. Ist das für dich eine bewusste Reflexion auf alte Techniken?
Ja, natürlich. Als ich angefangen habe, mit Öl zu malen, habe ich diese klassische Imprimiturtechnik gelernt, am Beispiel von Stilleben. Also was hinten steht bekommt die erste Weißhöhung, dann eine Schicht Imprimitur, dann die nächste Bildebene Weißhöhung, die nächste Imprimitur, solange, bis die Form steht. Das hat diesen unglaublichen Vorteil, dass man sich nicht mehr um die Form kümmern muss, wenn man diese Höhungen abgeschlossen hat, man kann sich dann um die Farben kümmern.
Das heißt, du benutzt auch immer die gleiche Farbfolge?
Nein, das ist unterschiedlich, das kommt darauf an, welche Farbe die Vorlage hatte.
Das heißt die Farbigkeit des Bildes wird durch die Farbe der Vorlage mitbestimmt?
Ja.
Also ähnlich wie beispielsweise in dem Bild der amerikanischen Fahne von Jasper Johns. Das Motiv bestimmt den Rahmen, die formale Struktur, die Grenzen des Bildes, innerhalb derer sich die Malerei als Malerei entfalten kann.
Genau.
Das heißt, der Prozess der Bildfindung und -werdung ist nicht nur notwendige Voraussetzung, sondern der Prozeß ist konstitutiver Bestandteil des Bildes?
Ja.
Das Bild ist dann sozusagen das Dokument des Prozesses?
Ja, ich weiß zu Anfang nie, wie das Bild am Ende aussehen wird.
Dokumentiert sich dieser Prozess später auch im Bild? Ist er in Form von Spuren im Bild nachvollziehbar?
Ich denke, für einige ist das nachvollziehbar, allerdings lege ich es nicht darauf an. Gegen Ende des Prozesses nehme ich auch wieder Farbe weg. Aber nicht mit dem Gedanken, man sollte die Spuren noch sehen, sondern aus einer anderen Beobachtung, die ich schwer beschreiben kann.
Es gibt ein Bild von Edvard Munch, «Das kranke Kind». wo er bewusst Kratzspuren und Schlieren stehen lässt, um das Prozesshafte, die Langwierigkeit der Bildfindung zu dokumentieren. Das ist bei dir dann nicht so?
Nein, gar nicht! Bei den meisten Bildern, bei denen ich so etwas eingesetzt habe, z.B. laufende Farbe, weil laufende Farbe so schön ist, musste ich es wegwischen, weil es einfach überhaupt nicht gepasst hat. Ich versuche keine schönen Dinge zu tun. Am Anfang habe ich noch Knicke und Risse gemalt, ich musste mich aber dagegen entscheiden. Später habe ich dann auch verstanden, dass ich nicht nur die Risse weglassen muss, sondern alles, was ein Bild schön macht.
Mal ganz provokant gefragt: wäre da nicht die technische Reproduktion die Konsequenz. Aber dann würde natürlich der Prozess weg fallen und der ist dann doch der essentielle Teil.
Ja, das geht nicht ohne Prozess.
Also die Arbeit am Bild, diese klassische Manie, mit Pinsel und Farben auf einer Palette …
Lappen!
Der Lappen und das Terpentin etc. Das ist schon das Essentielle…
Unbedingt.
Essen, 2006, Thomas Hammacher im Gespräch mit Andrea Blumör